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„Der glühende Bunker“
Ein Loch im Handschuh
Eine Hör-Raum Installation des Laboratoriums Geschichte
Claire Angelini und Eva Diamantstein
Ehemaliger Luftschutzbunker Claude-Lorrain-Straße 26, 81543 München
Von 14 Uhr bis 18 Uhr und nach Vereinbarung t.089.54075416
Texte
(…) Dies aber ist mein Hauptpunkt, mein Hauptfeld und meine innerste
Sorge: die Unfähigkeit des heutigen Menschen, sich anders als aus
unmittelbarsten Alltagsanstößen zu bewegen; er ist jeder emotionalen
Regung und Anregung ausgesetzt, weil er – im Lärm der technischen
Welt - in einer Betäubung agiert, die ihn in den Zustand der Primitivität
rückversetzt. Daher auch seine unglaubliche Gleichgültigkeit
gegenüber dem Leid des Nebenmenschen. Und das ist unser aller Hauptschuld.
Wir sind nicht nur vor Gott schuldig, wir sind es auch auf eine ganz simple
irdische Weise, und wenn wir in diesem Zusammenhang Gott in den Mund nehmen,
so begehen wir fast Blasphemie, d. h. wir trachten uns irdisch zu ent-schulden.
Und wenn das innerhalb der Demokratien nicht bald eingesehen wird –
daran verzweifle ich eben mehr und mehr -, so werden sie daran zugrunde
gehen. Das Ziel meiner Massenpsychologie ist die Suche nach heute (heute
noch) vorhandenen Bekehrungsmöglichkeiten.
Zu den wenigen Möglichkeiten, die sich finden lassen, ist der Hinweis
auf das Exempel zu zählen. Deswegen halte ich es für so wichtig,
dass Deutschland und damit auch die Welt die Helden des deutschen Untergrunds
kennen lerne. Denn diese Menschen haben nicht nur wie die des übrigen
Europas gegen einen fremden Eroberer gekämpft, sondern für ihre
humane Überzeugung: das ist weitaus mehr! (…)
Hermann Broch an Volkmar von Zühlsdorf am 8. 3. 1946
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Vor lauter Lauschen und Staunen sei still
du mein tieftiefes Leben;
daß du weißt was der Wind dir will,
eh noch die Birken beben
Und wenn dir einmal das Schweigen sprach
laß deine Sinne besiegen.
Jedem Hauche gib dich, gib nach
er wird dich lieben und wiegen.
und dann meine Seele sei weit, sei weit,
daß dir das Leben gelinge,
breite dich wie ein Feierkleid
über die sinnenden Dinge.
(Rainer Maria Rilke, Vertonung Axel Nitz)
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Meine geliebten Kinder,
morgen bin ich nun schon 14 Tage fort – und seit 10 Tagen bin ich
hier, und ich bin froh um jeden Tag, der vorüber ist. Aber die Tage,
bis ich wieder bei Euch sein kann, zu zählen, das wage ich noch nicht.
Macht Euch keine Sorge um mich, es geht mir ganz bestimmt gut, ich bin
gesund, und ihr wisst ja, Eure Mutti kann schon immer gut früh aufstehen,
und das Arbeiten ist eine Wohltat. Es bleibt immer noch viel Zeit zum
Denken und Grübeln, und dann kommt natürlich die Sehnsucht nach
Euch und das Heimweh.
Aber nun könnt Ihr mir ja schreiben, Kinder, so oft Ihr wollt. (…)
Antworten darf ich vorläufig nicht, aber deswegen schreibt Ihr mir
doch bitte. (…)
Was macht denn mein Dorlekind?? Ist es lieb? An seinem Geburtstag werde
ich ja noch nicht zu Hause sein, seine große Geburtstagskerze und
3 Taschentüchlein findet Ihr im vorderen Flurschrank. (…)
Bist Du gesund, mein Evalein? hast Du viel versäumt in der Schule?
(…)
Und mein Hannelekind, was macht Heidi, was die Geige? Bekommst Du bald
dein Vögelchen?
Und Du, meine große Illemaus, Du bist sicher Tante Dorle eine große
Stütze! (…)
Und was macht mein Gerhard, kommt er regelmäßig, wie war sein
Geburtstag? (…)
Und wie geht es Vati? Wo ist er? Was tut er? Grüßt ihn sehr
lieb und herzlich, ach, wie wohl täte mir ein gutes und tröstliches
Wort von ihm, aber das wird wohl nicht gehen.
Und nun habe ich viele viele Wünsche, und ich danke Euch im voraus
für alle Mühe. (…) Vor allem schickt mir regelmäßig
Zeitungen, dann ein Buch zum Lesen (Vati wird schon was aussuchen), vielleicht
den „Nachsommer“ von Stifter. (…) Dann bitte: meine
Nagelfeile, meine Pinzette, den Spiegel aus meiner roten Handtasche, einen
Beutel Vasenolpuder und die 2 Beutel Schlemmkreide aus dem Schränkchen
in der Kinderkommode (…) und dann, wenn es Euch möglich ist,
hin und wieder etwas Brot, ein bisschen Salz. (…) Und hättet
Ihr vielleicht ein paar Äpfel, wir bekommen hier nur Suppe oder Pellkartoffeln.
Aber nur, wenn Ihrs entbehren könnt. (…) Und nun lebt wohl
für heute, seid alle, alle umarmt und geküsst, meine Gedanken,
meine Wünsche und all mein Sehnen sind Tag und Nacht bei Euch. In
Liebe!
Mutti
Meine innigstgeliebten Kinder, alle 6,
erst heute in 8 Tagen darf ich Euch wieder schreiben, aber ein guter Mensch
hat mir Freimarken und Umschlag geschenkt und wird mir auch morgen diese
Zeilen besorgen. Ihr dürft in Eurer Antwort nur nicht verraten, dass
Ihr von mir einen Brief hattet, unter keinen Umständen, das würde
mir sehr schlecht bekommen. (…)
Ich denke so viel an Euch Tag und Nacht, und je länger ich von Euch
fort bin, um so stärker und schmerzlicher wird die Sehnsucht nach
Euch! Wenn ich doch nur wüsste, wann ich wieder nach Hause darf!
Ach, wenn es doch nur bald wäre!
Meine größte und meine einzige Freude hier sind Eure Briefe
und Grüße, und ich kann Euch gar nicht genug danken dafür!
(…)
Nun dürft Ihr mir nicht alle Eure schönen Kärtchen schicken,
die sollt Ihr bitte, bitte für Euch behalten. Ach, und gestern Abend
kam als richtiger Gruß zum Sonntag Evaleins Päckchen mit den
Apfelschnitzen und den Plätzchen. Du liebes Kind, ich hab mich so
gefreut. (…) Ich bin jedenfalls sehr dankbar für all das, was
Ihr mir schickt, denn wir bekommen nur wenig zu essen, nie Butter, nie
Fleisch, alle 14 Tage ein kleines Stückchen Wurst, immer nur Suppe
und sonntags ist es ganz schlimm. Da gibt es ½ 7 Uhr morgens ein
Stück trockenes Brot und diese elende Kaffeebrühe. (…)
Schade, dass Vati nicht mehr so oft zu Euch kommen kann; sieht er jetzt
besser aus? Bestellt ihm extra liebe Grüße. (…)
Dass Ihr mit den Wintersachen nicht zurecht kommt, kann ich mir denken.
Im Kampferschrank liegt noch ein altes rotes Wollkleid von mir, und bei
meinen Flickenresten liegt auch noch Stoff dazu; davon soll eine von Euch
ein Kleid bekommen (…). Es sind auch noch alte Faltenröcke
im Schrank bei Euch, vielleicht kann man für Dorle etwas davon verwenden.
(…)
Meine lieben, lieben guten Kinder, alle miteinander,
ich will auch diese Woche wieder mal mein Glück versuchen, ob Euch
diese Zeilen erreichen. Ihr wisst ja, dass Ihr nichts davon erwähnen
dürft.
(…)
Ich danke Euch von ganzem Herzen für das Päckchen mit den Ölsardinen
und dem Zuckerzeug, das Ihr sicher selbst gemacht habt. Dann für
das Päckchen mit der Butter und so weiter – Kinder, das dürft
Ihr unter gar keinen Umständen mehr tun, so gut, so sehr gut Ihr
es meint. (…) Ich bin doch so von Herzen froh, wenn Ihr alles habt
und so dankbar für alles andere, was Ihr mir schickt. (…)
Mach Dir nicht so viel Sorgen um mich, meine Ilsemaus. Ich bin vorsichtig
und denke nur daran, gesund und hoffentlich bald wieder bei Euch zu sein.
Ist meine Dorle denn auch erkältet? Warum soll es denn Einlagen bekommen?
Dann bekommt es doch auch andere Schuhchen? (…)
Schickt mir doch mal ein paar Bildchen von Euch, wenn Ihr sie nicht alle
eingeklebt habt, neue Aufnahmen habt Ihr wohl nicht gemacht. Ach, am liebsten
täte ich Euch alle richtig wieder sehen. (…)
Meine guten, innigstgeliebten Kinder, meine Lieblinge,
(…) Immer und immer denke ich voll Liebe und Sehnsucht an Euch,
und glaubt mir, Eure Liebe zu mir, unsere gegenseitige Liebe hilft uns
durch diese so schweren Wochen und Monate hindurch. Leider hab ich von
Dur, mein Junge, schon sehr, sehr lange nichts mehr gehört, und auch
von meiner Ille hab ich seit 14 Tagen keine Post (…) Kinder, ich
kann es noch immer nicht fassen, was ihr habt durchmachen müssen,
aber nachfühlen kann ich es Euch doch, wie Euch nach und nach zum
Bewusstsein kommt, was wir alle verloren haben. Aber seid nicht gar so
traurig; wenn wir erst alle wieder gesund zusammensein können, dann
ist alles wieder leicht und gut. (…)
Nun passt mal auf, liebe Kinder, aber haltet ja Euren Mund. Seit dem Angriff
haben wir am Zug keinen eigenen Wagen mehr für uns, und wir steigen
zu den anderen Leuten ins Abteil. Wenn wir es geschickt anfangen, können
wir uns doch dann mal treffen, ich dachte an Ille und Hannele. (…)
Ihr müsst euch aber sehr zusammennehmen, damit keine Beamtin etwas
merkt. Ich werde Euch ja in der Anstaltskleidung sehr verändert vorkommen,
zumal ich nun auch den einen Zahn verloren habe, der schon immer lose
war. Erschreckt also nicht. (…)
Meine innigstgeliebten guten Kinder, alle 6,
wieder ein Sonntag hier, aber wenigstens ein Sonntag an dem ich schreiben
darf, und wenn Ihr es ja auch wisst, dass alle meine sorgenden und liebenden
Gedanken tagtäglich bei Euch sind, so ist’s mir doch eine Freude,
ein wenig mit Euch zu plaudern. (…) Wie immer danke ich aus ganzem
Herzen für all Eure herrlichen Pakete (…). Kinder, Kinder,
wie macht Ihr das nur, dass Ihr so viel für mich übrig habt!
Die Seife war sehr willkommen, und die Hülse für die Zahnbürste
hat mich besonders gefreut. (…)
An Dich, mein guter Junge, habe ich ganz besonders gedacht. Ihr armen
Kerle kommt ja vor lauter Alarm gar nicht mehr zur Ruhe. (…) Wie
schön, dass Du in Fidelio warst! Ich bin so froh und dankbar, dass
auch Ihr alle solche Liebe zu Musik und Kunst und Dichtung habt! Glaubt
mir, der innere Besitz dieser Dinge und das Wissen darum hilft mir oft
über alles Hässliche und Niederdrückende in diesen schweren
Monaten. (…)
Deine Einkäufe, mein gutes Ilsekind, sind ganz in meinem Sinn, Du
hast ja schon eine ganze Menge für unseren neuen Haushalt zusammengetragen
und kümmerst Dich auch sonst so lieb um alles!! (…)
Was macht mein Evalein und mein Dorlekind? (…)
Meine innigstgeliebten Kinder, alle,
das ist eine lange und langweilige Reise; am 1. Tag sind wir über
Halle bis Leipzig!! Wie gerne hätte ich Tante Lotte noch mal gesehen!
Illekind, Leipzig sieht böse, böse aus, in der ganzen Innenstadt
nur Trümmerhaufen. Am 2. Tag sind wir bis Dresden gekommen. Dort
waren wir drei Tage. (…) Hoffentlich erhaltet Ihr diese Zeilen,
das wäre mir eine solche Freude. (…)
Morgen abend werden wir dann in Auschwitz sein. Die Mitteilungen darüber,
wie es dort sein soll. sind sehr widersprechend. Es kann sein, dass ich
erst nach vier oder nach acht Wochen schreiben darf, seid also bitte nicht
in Sorge, wenn Ihr jetzt länger nichts hören solltet. Und wenn
es gar so lange dauert, dann versucht doch, mir zuerst zu schreiben, vielleicht
bekomme ich’s doch. (…) Und seid bitte nicht so traurig, Ihr
meine Kinder. Es ist mir eine solche Beruhigung zu wissen, dass Ihr Eure
Ordnung und Eure Pflege habt und Euren Vati, der sich um Euch sorgt und
Euch sehr lieb hat. Vergesst das nicht, wenn Ihr auch heute sein Verhalten
nicht verstehen könnt. Der Vati wird Euch auch immer wieder die Wege
weisen zu allem Schönen und Guten und Hohen – (…)
Hoffentlich, hoffentlich erhaltet Ihr diesen Brief! Habt Ihr das Päckchen
mit den Briefen, dem Löffel für mein Dorle und den Kleinigkeiten
erhalten? Und das Bücherpaket? Sonst fordert es an von Breitenau.
Und nun lebt alle miteinander nochmals wohl – Gerhard-Junge, Ilsemaus,
Hannelekind, Evalein und mein Dorle-Schatz! Gott behüte Euch! Wir
bleiben unlöslich miteinander verbunden. Seid herzinniglich gegrüßt
und geküsst von Eurer treuen
Mutti
Meine liebe Lore!
Ich bin so glücklich Dir zu schreiben zu können. Es geht mir
gut, ich arbeite in meinem Beruf und das ist sehr angenehm für mich.
Nun erwarte ich sehnsüchtlich Nachrichten über Dich und Kinder.
Was machen sie alle? Ist Gerhard schon im Arbeitsdienst? Gehen Ilse und
Hannele in Hofgeismar in die Schule? Was macht meine kleine Ewa? Und was
macht meine Allerkleinste? Und wie geht es Dir selbst und Marielise. Ich
erwarte nun regelmäßig Nachrichten von Euch. Ich danke Euch
herzlich für die regelmäßigen Geldsendungen. Ich danke
Euch für das letzte Packet nach Breithenau Die Kinder möchten
auch selber schreiben. Meine Gedanken sind ununterbrochen immer bei Euch.
Hoffentlich seid Ihr alle gesund. Ich grüße und küße
jeden einzelnen tausend Mal. Ich bin in großer Liebe als Mutter
und Schwägerin. Lilli o. Mutti
(Aus Martin Doerry, „Mein verwundetes Herz“, das Leben der
Lilli Jahn)
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Mein liebes Muttileinchen!
Hoffentlich bekommst Du diese Karte noch zum Sonntag, es würde mich
sehr freuen… Die Karte ist hübsch, nicht wahr. Gestern konnte
ich leider nicht schreiben. Unsere Klasse einzig und allein musste einen
Aufsatz von gestern auf heute machen. (…) Ernste oder heitere Erlebnisse
mussten wir schildern. Die drei besten werden in der Zeitung veröffentlicht,
meiner aber nicht.
Evchen hat bei Röschen Äpfel geholt und bei Wittichs Zwiebeln…
vertrau nur auf den lieben Gott! Alles Gute
Mein herzallerliebstes Muttileinchen!
Eben stehe ich von einem phantastischen Abendbrot auf. Wir hatten erst
einen Rest gebackener Nudeln, dann Bechamelkartoffel mit Mixpickel und
dann geräucherten Aal. Das war ein Götterfraß. Muttilein,
das hat uns geschmeckt. (…)
Mutti, ehe ich’s vergesse: wo ist Gerhards hochgeschlossener blauer
Pullover? Und wo ist der Schlüssel für den Schrank, wo unsere
Wintermäntel drin sind? Schreib uns das doch bitte. Wenn Du nicht
so viel Platz zum Schreiben hast, dann schreib nur: der Schlüs. ist
da und da, der Pull. ist da und da. Nicht wahr, so machst Du es. (…)
Hoffentlich frierst Du nicht so viel!! Gestern, oh Wunder, ging die Heizung
doch noch an. Aber die Heizkörper sind 20 cm heiß und alles
andere an ihnen ist kalt. Witzig! Was!! Morgen bekommst Du wieder ein
Päckchen.
Hoffentlich schmeckt Dir auch alles.
Mein herzallerliebstes Muttilein!
Hoffentlich hast Du bei dem Angriff nichts abbekommen. Ich war gerade
in der Nacht bei Gisela in Nienhagen, von dort aus konnten wir alles gut
sehen. Es ist ja nur gut, dass uns nichts geschehen ist. In der Nacht,
als ich in Nienhagen war, hatte ich doch große Sorgen um alle –
(…) aber es geht uns allen, samt Gerhard, ja Gott sei Dank gut,
und dasselbe wünsche ich ja so sehr von Dir. (…)
Wir haben den großen Kürbis jetzt auch eingeweckt. es hat vier
Zweilitergläser und ein Halbliterglas gegeben. Und einmal haben wir
so gegessen. Die Kinder essen den Kürbis furchtbar gern. Aber wir
haben sehr viel Zucker dazu gebraucht. Wir wollten sparen für nächstes
Jahr, sind aber nicht sehr weit damit gekommen. (…)
Hoffentlich wirst Du auch satt?! (…)
Puder ist zwar Fissanpuder, doch glaube ich, dass Du ihn trotzdem gebrauchen
kannst. Den anderen Kleinkram kannst Du doch sicher auch gebrauchen. (…)
Dorle ist recht artig. Gestern abend war Vati gerade da, und da hat er
sie ins Bett gebracht und gewaschen. Da hat Dorle sich arg gefreut. Mein
gutes Muttilein! Frierst Du mir nicht? Schläfst Du auch nachts?
Mein gutes, liebes Muttileinchen!
Ach, das war wieder eine Schreckenstunde, das Hänschenvieh beißt,
stell Dir mal vor, einen Holzstab in der Dicke eines Mikadostabs vollständig
entzwei, schlüpft raus aus dem Käfig und verschwindet in der
Gardinenstange. (…) Ich mir die Julie und die Leiter geholt und
dann ging es los, das Jagen und Fangen von dem armen Vögelchen. (…)
Endlich ist er wieder im Bauer (…)
Mein goldiges Muttilein!
Es ist halb 10 Uhr. Eigentlich wollte ich eher schreiben, aber gegen die
höheren Mächte komme ich nicht an. Um halb 9 hatten wir wieder
mal Alarm. Mal wieder, denn um 4 Uhr hatten wir schon einmal. Aber beide
Male ist man gnädig an uns vorübergegangen. Weißt Du,
Mutterle, wenn es Alarm gibt, wir haben schon so viel Übung darin.
Es geht ruckzuck, und wir sind die ersten fast im Keller. (…)
Mein Hänschen nehme ich von der Wand, dann ist er doch auf dem Fußboden
jedenfalls vor dem ärgsten Luftdruck geschützt. Wenn Du mal
schreibst… äußere Dich bitte mal darüber, wie Du
das findest. Ich bin mir selbst nicht ganz klar. Das Tierchen lebt doch,
spürt und hat Angst. Die Geige ist aber auch so eine Sache. Sie ist
mir auch sehr lieb. Na, ich will noch mal Vati fragen. (…)
Aber was anderes ist viel schöner. Wir haben die Jahns nicht mehr
in Erdkunde und Geschichte, nur noch in Mathematik und Biologie. Wir haben
geschlossen auf dem Schulhof einen Freudentanz vollführt. (…)
Meine liebe, beste, goldige, arme Mutti!
Wie geht es Dir? Gell, einen Tag wird, soweit die Post regelmäßig
geht, einmal mein Brief ausfallen. Das kommt daher: ich hatte in den letzten
Tagen immer heftige Zahnschmerzen an einem ganz faulen aber festsitzenden
Backenzahn, rechts oben. Nachdem ich eine ganze Rolle Veramon gefressen
hatte, schleppte mich Tante Rita zum Dr. Holland, den alten über
70 jährigen kraftlosen Zahnarzt. Kurz holte der mich in seinen Marterstuhl
und spritzte mein Zahnfleisch in Betäubung. Den Schmerz konnte man
noch aushalten, aber dann: Nach fünf Minuten holte der seine Zange
und fing an den halb abgebröckelten Zahn erst mal aus dem Zahnfleisch
hinaus zu pökeln, hu, das tat weh. Ich dachte, ich würde mit
Stecknadeln gespickt. Dann holte der noch so ein Instrument und zog und
zog nach oben, nach unten, nach rechts und nach links und ich fühlte,
dass ich 32 Zähne hatte. Immer höher ging ich, Tante Rita hatte
alle Mühe mich festzuhalten. Da endlich, der halbe Zahn war draußen,
aber wo war die andere Hälfte? Ogotto Gott, dachte ich, soweit ich
noch denken konnte. Nochmal will das alte Scheusal an mich ran. Jetzt
hatte der aber alle seine Kräfte zusammengerafft und hau ruck, hau
ruck – da ist er.
„das war aber eine Anstrengung“, sagte der alte Knopf. Und
ich wusste nicht, sollte ich weinen oder lachen oder vor Schmerz schreien?
Au, au, sagte ich nur immerzu. Aufwiedersehen hat er keins zu hören
bekommen, nur eine Hand und eine Gestalt gesehen. Dann war ich draußen.
Aber Zahnweh hatte ich, Zahnweh (…)
Mein allerliebstes gutes Goldmuttilein!
Jetzt wird es Winter. Liegt bei Dir auch so viel Schnee? Und glatt ist
es, ziemlich unangenehm.
Weißt du, wo die schönsten Frauen der Erde wohnen? Ich wusste
das auch nicht, angeblich auf der Insel Java. So blöde Fragen kann
ja auch nur der Falthauer stellen. Er wollte uns Mädchen reinlegen.
Heute ist einer Frau in Hofgeismar eine Tasche mit Wäscheklammern
und Hosenträgern und Kochlöffel unter den Zug gefallen. Da sind
Heidi und ich unter den Zug gekrabbelt und haben alles bis auf vier Klammern
aufgelesen. Denn da fuhr der Zug an, das war was. Morgen früh fahr
ich nach Hümme und hab Latein, darauf freue ich mich. (…)
(Aus Martin Doerry, „Mein verwundetes Herz“, das Leben der
Lilli Jahn)
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Lieber Freund,
ich hoffe, Du erinnerst Dich an den Text über Dein Buch „Poetik
der Fälschungen“. Du hast ihn Ende Februar 1992 in Sarajevo
gelesen. (…) Da hast Du mir, während des Mittagessens bei mir
zu Hause, auch eine Widmung geschrieben:
„Meinen lieben Freunden, welche die Wahrheit mehr lieben mögen,
als ich die Täuschungen“
Du hast vergessen das Datum zu schreiben. Unlängst habe ich es hinzugefügt:
1992, etwa einen Monat vor Beginn des Angriffs auf meine Stadt. Lange
haben wie uns an jenem Tag über die methodischen Verfälschungen
der Wahrheit unterhalten, die beängstigende Macht des Unwahren in
Geschichte, in Kunst und Literatur.
Erinnerst Du Dich an diesen von Poetiken der Auflösung und der Fälschungen
(…) ausgefüllten Tag? (…)
Wie Du weißt, begannen im April jenes Jahres die Angriffe auf die
Stadt. Nur einen Monat nach unserem Gespräch über Fälschungen
und Fälscher begannen sie in Deinem Namen Sarajevo zu zerstören.
Sie begannen die Stadt zu zerstören, in der Du so viele Freunde hattest.
Eine ganze Reihe von Täuschungen über die Du (…) schreibst,
übersiedelte mit einem Male in meine Wirklichkeit. Die großen
Fälscher zeigten ihre Gesichter und begannen eine neue und blutige
Geschichte der Täuschungen der Ideologisierungen und der Lüge
zu schreiben: Viele Male stimmten Deine literarischen Beispiele mit den
wirklichen überein. (…) Du, der Du so gut die Wahrheit hinter
der Fälschung siehst, musstest längst durchschaut haben, dass
der Staat nichts mit Glück zu tun hat und dass die Serben nicht glücklich
würden, wenn sie in einem eigenen Staat lebten (…) Du musstest
durchschauen, dass Blutbäder nicht zum serbischen Glück beitragen.
Ich habe Dein Buch über die Fälschungen gelesen, ich kenne Dich
gut, und ich weiß, dass die großen Fälscher Dich nicht
betrügen konnten.
Weißt Du, dass sie Irfan Horozowic, den Schriftsteller den Du so
schätztest aus Banja Luka vertrieben haben? (…) Interessiert
Dich das Schicksal des Menschen, dessen Bücher Du so geliebt hast?
Uns in Sarajewo hat die Literatur zu überleben geholfen. Das Anstehen
um Wasser und die furchtbare Kälte zu ertragen (…), die überlangen
Nächte, die vom Lärm der Granaten erfüllt waren (…)
dem Schreien der Verletzten. Liebgewonnene Bücher wurden uns noch
lieber und die Bücher unserer Freunde wurden kostbar. Häufig
haben wir in ihnen geblättert. (…) Unter diesen kostbaren Büchern
waren auch Deine (…) und einige „spezielle“, die nur
Du besorgen konntest. Das waren die drei Bücher von Remisow und Platons
Schrift über die Freundschaft. (…)
Während ich im Kriegs-Sarajevo, in meinem kalten Heim ohne Fenster
und mit vielen Löchern in den Wänden zum werweiß wievielten
Male Platons Dialog über die Freundschaft las, habe ich oft an Dich
gedacht. Ich fragte mich nicht, wie es Dir Geht. Deshalb nicht, weil ich
glaubte, dass es Dir schrecklich ginge. Ich glaubte, Du müsstest
den Terror der großen Fälscher erdulden und würdest Dich
wegen der Verbrechen, die sie in Deinen Namen verüben, sehr schämen.
(…)
Sobald ich aus Sarajevo heraus war, begann ich, mich nach Dir zu erkundigen
und danach, was Du unternommen hast, um Dich gegen die, auch in Deinem
Namen verübten Verbrechen zu verwahren. Ich war sicher, dass Du es
getan hast, ebenso, wie ich sicher war, dass Du nach einem Weg gesucht
hast, uns, Deinen Freunden in Sarajevo, irgendwie mitzuteilen, dass Du
bei uns bist, dass Du uns verstehst und liebst, dass Du Deinen Namen nicht
denen leihst, die unsere Stadt zerstören, und dass Du uns bis jetzt
die Briefe nicht zukommen lassen konntest, die Du uns natürlich geschrieben
hast. (…)
Es gab jedoch keine Briefe. Es gab auch keinen Protest von Dir oder eine
Verwahrung gegen die in Deinem Namen verübten Verbrechen. (…)
Was ist nur mit Dir geschehen? Ist es denn möglich, dass sie Dich
getäuscht haben? Du hast Dich doch so lange mit dem Entlarven von
Täuschungen beschäftigt, Du musstest doch längst schon
alles gewusst haben, vielleicht auch uns warnen. (…)
Im August 1993 brachte mir ein gemeinsamer Freund Dein neues Buch mit
– „Wahrsagen aus der Asche“ (über Vertreibungen
und Lager). Mit Ungeduld griff ich danach und begann zu lesen, überzeugt
davon, hier zu finden, was ich so sehr brauchte – Deinen Brief an
die Freunde in Sarajevo und Banja Luka. (…)
Aber in deinem Buch über Vertreibungen und Lager gibt es nicht eine
einzige Stelle, die sich auf das bezieht, was uns heute widerfährt.
(…) Kein Wort über das in Deinem Namen Verübte, (…)
kein Wort über Sarajevo, diese ganze in ein Lager verwandelte Stadt.
(…) Du schreibst ein Buch über Lagertypen, über Lagermechanismen,
und ein riesiges Lager ganz besonderer Art erwähnst Du gar nicht.
Denkst Du nicht ebenso wie ich, dass auch der Schriftsteller zu versagen
beginnt, wenn der Mensch versagt?
Kann es denn sein, dass diese Stadt Dich kein bisschen angeht? (…)
Oder fürchtest Du Dich jetzt schon so sehr, dass dies kein Thema
mehr für Dich ist?
Ich glaube es nicht, ich kann es nicht glauben, ich könnte es nicht
annehmen, dass Du Deine Stimme, Deinen Namen und Deine Gefühle dieser
primitiven und abstoßenden Gewalt leihen kannst. Aber ich sehe,
dass Du schweigst. Stillschweigend stimmst Du zu, und mit genau der Auswahl
von Tatsachen, die Du aufführst, trägst Du zur großen,
in Deinem Namen unternommenen Verfälschung bei. (…) Wie konnte
das passieren? Ist es denn möglich, dass auch Du, aus freiem Willen,
ein Glied in der langen Kette der Fälscher wirst? Oder bist Du längst
schon wirklich ein Experte für das Unwahre geworden?
(…)
P.S.
Dies ist der einzige Brief in die Vergangenheit, auf den ich eine Antwort
erwarte. Wenn ich sie nicht bekomme, bin ich um nichts klüger, doch
ich werde sehr traurig sein.
(Aus „Briefe nach Sarajevo“, Dragana Tomaševic)
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Quark
Zutaten: 2 El Essig, ½ Tl Hefe, Milchpulver
Die Zutaten verrühren und aufkochen. Mit einem Sieblöffel Quark
herausnehmen.
Sahne
Zutaten: 3 Tassen Milchpulver, 2 Tassen Speiseöl, 3 Tassen Essig,
2 Mokkatassen Wasser, 1 Tl Salz.
Milchpulver mit Wasser und nach und nach mit den anderen Zutaten gut vermischen,
in ein Einmachglas gießen und über Nacht stehen lassen.
Suppe
Zutaten: 1 El Mehl, 1 Mokkatasse Speiseöl, Brotwürfel, Salz,
Wasser.
Öl heiß werden lassen und mit Mehl verrühren, bis es Farbe
annimmt, nach und nach Wasser dazugeben. In einer Pfanne Brotwürfel
rösten und diese in die noch köchelnde Suppe geben.
Pommes frites
Zutaten: 1 Tasse Maismehl, 1 Tasse Mehl, Backpulver, Wasser.
Aus den Zutaten macht man einen festen Teig. Dann rollt man ihn dünn
aus und schneidet Stäbchen wie bei Pommes frites. In heißem
Öl backen.
Mayonnaise
Zutaten: 4 El Mehl, 2 El Milchpulver, ½ Mokkatasse Essig, 2 cl
Öl, Salz, Zucker.
Mehl und Milchpulver in lauwarmes Wasser einrühren und dann wie Pudding
zum Kochen bringen. In die abgekühlte Masse Salz, Essig, Öl
und falls vorhanden Senf einrühren.
Cevapcici
Zutaten: 10 Mokkatassen Bröseln, 4 Tl Hefe, Zwiebeln, Knoblauch,
Pfeffer, Salz.
Die Zutaten in etwas Wasser aufkochen, Cevapcici formen und eine Stunde
ziehen lassen. Rasch in heißem Fett braten.
Kaffee aus Löwenzahn
Als Ersatzkaffee hat man Reis, Linsen, Haferflocken, Roggen und die Wurzeln
des Zinnkrauts benutzt, Doch mit Abstand den besten kaffeeartigen Geschmack
hat die Wurzel des Löwenzahns.
Zubereitung: Die Wurzel des Löwenzahns gründlich waschen, klein
schneiden und trocknen lassen. Nachdem die Stückchen trocken sind,
röstet man sie wie Kaffeebohnen und mahlt sie anschließend.
Man nehme nur die hälfte der Menge, die man beim richtigen Kaffee
nimmt. Es duftet vielleicht nicht so gut, dafür ist das Aroma olala!
Dazu schmeckt eine Huflattigzigarette.
(Aus „Das Leben ist stärker, ein bosnisches Lesebuch“,
Dragana Tomaševic (Hrsg))
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