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  Pressespiegel

WELTamSONNTAG Sonntag, 9. November 2003
MÜNCHEN

NEUES LEBEN IN ALTEN BUNKERN
Von Barbara Reitter-Welter

Die Stadt forciert endlich die zivile Nutzung der Wehrbauten aus dem Zweiten Weltkrieg - sie könnten Büros, Galerien oder Wohnungen beherbergen

Es gibt sie noch, die steinernen Zeugen der unseligen Vergangenheit: 15 über die Stadt verteilte Hochbunker aus dem Zweiten Weltkrieg. Alle für einen Zweck errichtet, bei genauer Betrachtung jedoch ein jeder von individueller Gestalt. In der Typologie kommen Rundlinge, trutzige Quader oder achteckige Bauten vor. Alle mit winzigen Schießscharten ähnliche Öffnungen versehen und mit über zwei Meter dicken mauern, aber auch mit Verzierungen an den abweisenden Fassaden. Schließlich waren die Bunker unter künstlerischen Aspekten nach klaren stilistischen Vorgaben entstanden. Der damalige Stadtbaumeister Karl Meitinger hatte sich an die Ästhetik der Wehrbauten früherer Jahrhunderte angelehnt.
Aber was für ein Innenleben verbirgt sich eigentlich hinter den dicken Mauern? Und vor allem: Wie werden die Gebäude heute, zum Beginn des 21. Jahrhunderts, genutzt? Bisher praktisch gar nicht. Doch angesichts leerer Stadtkassen werden nun die Weichen gestellt für die Umsetzung des längst beschlossenen „Bunker- Aktivierungs-Programms“.

Zehn Jahre schlummerte der Stadtratsbeschluss

Bereits im Jahr 1990 brachte die Stadtratsfraktion der Grünen/ALM einen Antrag ein. Drei Jahre später folgte der offizielle Beschluss, die „aus der Zivilschutzbindung entlassenen Hochbunker ... einer zivilen Nutzung zuzuführen“. Silke Pesik, Pressesprecherin des Kommunalreferats, sieht diese Entscheidung unter einem globalen Gesichtspunkt. „Das Ganze wurde nach dem Mauerfall, als der Kalte Krieg endgültig vorbei war, ein Thema.“
Es gibt bereits fünf Bunker, die von der Stadt gegen eine - in ihren Augen - zu geringe Miete für eine öffentliche Nutzung freigegeben wurden: Als Musikübungsräume, für Jugendarbeit, als städtisches Archiv, aber auch als Kunstgalerie. Wichtig war dabei immer, dass der bauliche Charakter erhalten blieb - schließlich hat auch der Denkmalschutz noch ein entscheidendes Wort mitzureden.
Einer, der bereits einen Bunker nutzt, ist Wolfgang Tumulka. Er kam per Zufall an seinen „Kunst-Bunker“ an der Prinzregentenstraße. Hier lagerten zuvor edle Tropfen. Die Weinhandlung lag genau gegenüber seinem Büro. Als der Bunker 1993 frei wurde, brachte ihn der Kunsthistoriker Michael Heufelder, der bis vor kurzem für die Bespielung der Räume verantwortlich war, auf die Idee, dort eine Galerie einzurichten. Das Kulturreferat signalisierte Interesse, und so zog Anfang der 90er-Jahre eine Galerie in den Gebäudekoloss ein. Für eine, wie Tumulka sagt, „noch heute äußerst günstige Miete“.
Mittlerweile ist der „Kunst-bunker“ eine wichtige Adresse für junge Künstler der Szene, werden ihnen doch hier temporär die Räume für die verschiedensten, stets öffentlich geförderten Kunstaktionen überlassen.
Für einen anderen Schutzbau wurde erst kürzlich ein Aufsehen erregendes Projekt vorgestellt, das durchaus Nachahmer finden. Ein junges Architekten-Team ging offensiv an das Thema heran: Das Büro Binnberg-Pfeiffer kaufte von der Stadt den landschaftlich fast idyllisch gelegenen, frei stehenden Bunker an der Claude-Lorrain-Straße, schlug Konzept vor und entwarf für circa 700 Quadratmetern Grundfläche sechs große Loft-Wohnungen samt einem Aufbau als Dachgeschoss. Eine architektonische Herausforderung. „Der Mensch braucht Licht und Luft, dem tragen wir natürlich Rechnung. Öffnungen verliert ein Bunker seine Wehrhaftigkeit und ist einfach nur noch ein Turm. Außerdem besitzt dieser Bunker mit seinem Oktogon eine optimale Wohnform. Ein weiterer Vorteil für den Umbau ist, dass die 2,40 Meter starken Wände aus unbewehrtem Beton ohne Stahl bestehen“, sagt Architekt Binnberg. Jetzt müssen die Pläne nur noch genehmigt werden. Wohnen im Bunker - es könnte ein Konzept sein für München, denn andernorts wird es durchaus schon praktiziert.
Auch von offizieller Seite bestehen keine Widerstände. Für mögliche Investoren gibt es allerdings einen Haken: die Kosten. Man muss pro Bunker - neben dem sechsstelligen Verkaufspreis! — mit einer Summe von 200 000 bis 300 000 Euro für die Umbaukosten rechnen.
„Wir sperren uns nicht Umbau und Umstrukturierung“, sagt Dr. Walter vom Gebietsreferat für Bau- und Kunstdenkmalspflege, „doch es gibt einige Bunker, die Zeugnischarakter besitzen, die weitgehend intakt sind. Sie müssten vom äußeren Erscheinungsbild her unverändert bleiben.“ Doch nur ein Bruchteil ist in die Denkmalschutzliste eingetragen, für die genaue Kriterien erarbeitet wurden. „Bei den anderen — vier stehen leer, fünf sind zurzeit belegt — denken wir durchaus an geeignete Nachhutzung. Dazu gehören Arztpraxen, Ateliers, Verkaufsräume und Lager, aber auch Kunst- und Wohnbunker.“ Es werden Nutzungen vorgezogen, die mit dem Bestand auskommen. „Wenn baulich umstrukturiert werden muss, wollen wir versuchen, einen Ausgleich zwischen Denkmalschutz und neuen Funktionen zu finden. Natürlich wäre auch die museale Umgestaltung schön — es gibt nämlich noch welche, die technisch perfekt sind. Wenigstens einer sollte im Urzustand dokumentiert werden und als Geschichtszeugnis erhalten bleiben.“
Besonders in der jüngeren Generation bauen sich die Berührungsängste vor Gebäuden des Dritten Reichs langsam ab. Das Haus der Kunst gilt mittlerweile als „Inkunabel der nationalsozialistischen Architektur“, konstatiert Walter. Allerdings bleibt die schwierige Gemengelage zwischen emotionaler Belastung und zukunftsorientierter Nutzung. Fragt sich nur, wie der Einzelne mit der Erinnerung umgeht. Schließlich hat sich in Bunkern auch unendlich viel Leid abgespielt. Doch diese ethische Frage - kann und will ich in einem Bunker leben? - kann nur individuell beantwortet werden.

 
 
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